Ihr 2.500-€-E-Bike steht abgeschlossen in der Innenstadt. Sie haben 40 € für ein Schloss bezahlt, das im Fahrradladen einen sicheren Eindruck machte. Drei Minuten später geht ein Dieb mit Ihrem Fahrrad davon, bewaffnet mit einem 15-€-Bolzenschneider. Das Schloss baumelt noch am Fahrradständer, sauber durchtrennt. Das passiert tausende Male am Tag, weil Radfahrer Schlösser nach dem Aussehen und nicht nach geprüfter Widerstandsfähigkeit kaufen. Hier erfahren Sie, wie Schlosszertifizierungen echte Sicherheit von teurer Dekoration unterscheiden und warum dieser Unterschied wichtiger ist als der Preis des Schlosses.
Warum Zertifizierungen wirklich wichtig sind
Jeder Hersteller kann einen Aufkleber mit „Sicherheitsstufe 10/10“ auf seine Verpackung kleben. Ohne unabhängige Tests bedeuten diese Zahlen absolut nichts. Weltweit testen mehrere Organisationen Schlösser gegen Werkzeuge und Methoden, die echte Diebe anwenden: Sold Secure (Großbritannien), ART Foundation (Niederlande), FUB (Frankreich) und das neuere Vélo SRA-Label (Frankreich).

Das sind keine Marketing-Aktionen. Bei den Tests greifen professionelle Prüfer Schlösser unter Zeitdruck mit immer ausgefeilteren Werkzeugen an. Die Schlösser halten den Angriffen für eine bestimmte Dauer stand oder eben nicht. Test nicht bestanden, keine Zertifizierung. Verliert ein Schloss im nächsten Jahr an Qualität, kann es die Zertifizierung verlieren. Das zwingt die Hersteller zu einer Ehrlichkeit, die selbst auferlegte Bewertungssysteme niemals erreichen könnten.
Die Realität bei Versicherungen: Die meisten Fahrradversicherungen verlangen bestimmte Zertifizierungen. Britische/internationale Policen fordern in der Regel mindestens Sold Secure Silver (Gold oder Diamond für Fahrräder über 1.500-3.000 €). ART 2-Sterne ist in den Niederlanden gesetzlich für die Versicherung vorgeschrieben. Französische Versicherer verlangen eine FUB 2-Räder- oder SRA-Zertifizierung. Kaufen Sie ein nicht zertifiziertes Schloss, wird Ihr Versicherungsanspruch abgelehnt, unabhängig vom Preis.
Sold Secure: Der globale Standard
Sold Secure wurde 1992 von britischen Polizeikräften gegründet und betreibt Prüfeinrichtungen, in denen Schlösser systematischen Angriffen ausgesetzt werden, die tatsächliche Diebstahlmethoden widerspiegeln. Die Prüfprotokolle werden jährlich auf der Grundlage von Rückmeldungen von Polizei und Versicherungen über neue Diebstahltechniken aktualisiert.

| Stufe | Angriffswerkzeuge | Testdauer | Anwendungsfall | Versicherung |
|---|---|---|---|---|
| Bronze | Einfache Handwerkzeuge (Schraubendreher, kleiner Hammer, Junior-Metallsäge, Drahtschneider) | Mindestens 1 Minute | Nur Abschreckung für Gelegenheitsdiebe, Gebiete mit extrem niedrigem Risiko | Nur Basis-Policen |
| Silver | Erweiterte Werkzeuge (kleine Bolzenschneider, Metallsäge, Brechstange, Bohrer) | Mindestens 3 Minuten | Kurze Stopps in Gebieten mit mäßigem Risiko, Fahrräder unter 500 € | Standard-Policen |
| Gold | Spezialwerkzeuge (106-cm-Bolzenschneider, Brechstangen, Vorschlaghammer, Hartmetallsäge) | Mindestens 5 Minuten | Stadtpendler, Fahrräder von 500 bis 3.000 € | Mindestens Premium |
| Diamond | Elektrowerkzeuge (Winkelschleifer, hydraulische Schneider, maschinelle Angriffe) | Mindestens 90 Sekunden Widerstand gegen Winkelschleifer | Hochrisikogebiete, Premium-E-Bikes über 3.000 € | Erforderlich für hochwertige Deckung |
ART Foundation: Niederländische Ingenieurskunst
Die niederländische ART Foundation wendet strengere Tests an als die meisten Zertifizierungsstellen und nutzt sowohl maschinelle Belastungstests als auch menschliche Angriffssimulationen. Die Tests finden in unabhängigen SKG-IKOB-Laboren mit über 20 separaten Bewertungen statt, darunter Einfrieren, Korrosion, Ausdauer, Zugfestigkeit und Torsionstests neben der Angriffswiderstandsfähigkeit.

| Sterne | Testmethoden | Zielfahrzeug | Sold Secure Äquivalent |
|---|---|---|---|
| ★ | Handwerkzeuge, Zugkraft 5 kN, Drehmoment 100 Nm | Grundlegende Abschreckung | Bronze-Äquivalent |
| ★★ | 60-cm-Bolzenschneider (ohne Bodenhebel), Zugkraft 10 kN, Drehmoment 150 Nm | Standard-Fahrräder | Silver bis Gold |
| ★★★ | 90-cm-Bolzenschneider, hydraulische Werkzeuge, Winkelschleifer, Zugkraft 15 kN | E-Bikes, Mopeds, Roller | Gold bis Diamond |
| ★★★★ | Professionelle Elektrowerkzeuge, verlängerte Angriffszeiten | Motorräder (Straße) | Diamond plus |
| ★★★★★ | Verlängerte professionelle Angriffe, Industriewerkzeuge | Motorräder (Lagerung) | Über Diamond hinaus |
Französische Zertifizierungen: FUB und Vélo SRA

Für Radfahrer in Frankreich sind zwei weitere Zertifizierungen für den Versicherungsschutz von Bedeutung: FUB (Fédération française des Usagers de la Bicyclette) und das neuere Label Vélo SRA. Obwohl sie weniger detailliert sind als die Bewertungen von Sold Secure oder ART, werden beide von französischen Versicherern weitgehend anerkannt und bieten grundlegende Sicherheitsgarantien.
FUB: Der Standard des französischen Radfahrerverbandes
Die FUB wurde 1980 als gemeinnütziger Verein gegründet und hat ihre Anti-Diebstahl-Kommission ins Leben gerufen, um die Widerstandsfähigkeit von Schlössern zu testen und jährliche Ranglisten zu erstellen. Die Organisation setzt sich für 3 Millionen tägliche Radfahrer und rund 17 Millionen regelmäßige Nutzer in ganz Frankreich ein.
| Bewertung | Widerstandsniveau | Anerkennung durch Versicherungen |
|---|---|---|
| 1 Rad | Schnelle Angriffe mit einfachen und unauffälligen Werkzeugen | Nur Grunddeckung |
| 2 Räder | Aggressivere Werkzeuge, verlängerter Widerstand | Standardanforderung für französische Versicherungen |
Vélo SRA: Der neueste Standard der Versicherungsbranche

Das im Juli 2025 eingeführte Vélo SRA ist eine Zusammenarbeit zwischen France Assureurs (Versicherungsindustriegruppe), SRA (Sécurité et Réparation Automobile) und CNPP (Centre national de prévention et de protection). Dieses Label adressiert die spezifischen Bedürfnisse der Fahrradsicherheit, die sich von der bestehenden „Classe SRA“-Zertifizierung unterscheiden, die ursprünglich für Motorräder und Roller entwickelt wurde.
Andere wissenswerte europäische Zertifizierungen
Über die großen Standards hinaus unterhalten mehrere europäische Länder ihre eigenen Zertifizierungssysteme. Obwohl sie international weniger anerkannt sind als Sold Secure oder ART, sind diese Zertifizierungen für die Versicherungsanforderungen in ihren jeweiligen Märkten von Bedeutung.
VdS (Deutschland)
VdS Schadenverhütung, akkreditiert durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS), prüft Fahrradschlösser neben anderen Sicherheitsprodukten. VdS-Zertifizierungen verwenden die Klassen A+ und B+ für Zweiradschlösser. Deutsche Versicherer erkennen VdS-geprüfte Schlösser zunehmend an, und die Zertifizierung hat aufgrund des Rufs von VdS für strenge mechanische Prüfungen in ganz Mitteleuropa Gewicht.
SSF (Schweden)
Die Schwedische Diebstahlschutzvereinigung (Stöldskyddsföreningen) veröffentlicht SSF 011, den Standard für die Prüfung von Fahrradschlössern in Skandinavien. SBSC (Schwedens führende Zertifizierungsstelle) und RISE (staatliches Forschungsinstitut) führen die Prüfungen gemäß den SSF-Standards durch. Jährlich ereignen sich in Schweden über 70.000 Fahrraddiebstähle, was die SSF-Zertifizierung zu einer praktischen Anforderung für schwedische Versicherungspolicen macht.
Regionale Standards: Polen, Finnland, Dänemark
Mehrere kleinere europäische Märkte unterhalten lokale Zertifizierungssysteme:
| Land | Zertifizierung | Status |
|---|---|---|
| Polen | PZN | Zertifizierungsstelle der Hauptversicherer, begrenzte internationale Anerkennung |
| Finnland | VAT | Erforderlich für die Versicherungsgültigkeit in Finnland |
| Dänemark | Varefakta | Von dänischen Versicherern anerkannt, ähnlich dem schwedischen SSF |
Schlosstypen: Was zertifiziert wird (und was nicht)
Bügelschlösser: Die Spitzenreiter
Bügelschlösser (D-Schlösser) dominieren die Gold- und Diamond-Bewertungen. Bügel aus gehärtetem Stahl mit einem Durchmesser von 13 mm+ widerstehen Bolzenschneidern effektiv. Die starre Form minimiert die Angriffsflächen für Hebelwerkzeuge. Die besten Modelle verwenden eine doppelte Verriegelung (Bügel verriegelt auf beiden Seiten), um Verdrehungsangriffe zu verhindern.

- Sold Secure Diamond: Kryptonite New York Fahgettaboudit, Abus Granit X-Plus 540, Hiplok D1000, Litelok X1
- ART 3-Sterne: Abus Granit Serie, Kryptonite New York Serie, Tex-lock D-lock
- FUB 2 Räder: Kryptonite Evolution Lite Mini 6, OnGuard Pitbull DT, Trelock U5 Mini Serie
Kettenschlösser: Schwere Sicherheit
Qualitativ hochwertige Kettenschlösser erreichen Gold/Diamond-Bewertungen, wiegen aber deutlich mehr als Bügelschlösser. Ketten müssen gehärtete Glieder mit sechseckigem oder quadratischem Profil verwenden, um Bolzenschneidern standzuhalten. Runde Glieder fallen sofort durch den Test.

Faltschlösser: Bequemlichkeit mit Kompromissen
Faltschlösser erreichen maximal Gold-Bewertungen. Die genieteten Gelenke schaffen Schwachstellen, die eine Diamond-Zertifizierung verhindern. Mutternsprenger können diese Nieten angreifen, obwohl Straßendiebe dieses Spezialwerkzeug selten bei sich haben.

Kabelschlösser: Die Zertifizierungswüste
Kabelschlösser erhalten im Wesentlichen keine aussagekräftigen Zertifizierungen. Sie finden vielleicht Kabelschlösser mit Bronze-Bewertung, aber eine Bronze-Zertifizierung ist für die tatsächliche Sicherheit wertlos.

- Hergestellt aus dünnen Stahldrähten, die einzeln von Drahtschneidern durchtrennt werden
- Selbst 20 mm dicke Kabel bestehen hauptsächlich aus einer Kunststoffhülle um dünne Metalldrähte
- Können die Mindestbewertung Silver (3 Minuten Widerstand gegen kleine Bolzenschneider) nicht erreichen
- Daten der Harvard Police: 66 % der gestohlenen Fahrräder waren mit Kabelschlössern gesichert
- Tests zeigen, dass Kabelschlösser in weniger als 30 Sekunden gegen 20-€-Kabelschneider versagen
Rahmenschlösser (Café-Schlösser): Bequemlichkeit ohne Sicherheit
Rahmenschlösser (auch als Café-Schlösser, Radschlösser oder O-Schlösser bezeichnet) werden fest am hinteren Rahmen montiert und blockieren das Hinterrad durch einen Bolzen durch die Speichen. Beliebt in den Niederlanden und häufig bei Stadt- und Lastenrädern.

Widerstandsfähigkeit gegen Winkelschleifer: Das moderne Schlachtfeld
Akkubetriebene Winkelschleifer wurden um 2018-2020 zur bevorzugten Waffe von Dieben. Akku-Modelle durchtrennen Gold-bewertete Schlösser in 30-60 Sekunden. Dies zwang die Zertifizierungsstellen, Diamond-Bewertungen zu schaffen, die speziell die Widerstandsfähigkeit gegen Winkelschleifer testen.

- Keramikplatten: Schlösser wie das Hiplok D1000 verwenden eine Keramikpanzerung, die Schleifscheiben bei Kontakt zerspringen lässt.
- Drehbare Hülsen: Das Litelok X1 verwendet eine drehbare Außenhülse, die dem Schleifer keinen Halt gibt.
- Verbundwerkstoffe: Eine Mischung aus gehärtetem Stahl und Materialien, die sich anders gegen Abrieb verhalten als reiner Stahl.
- Mehrere Barrieren: Eine geschichtete Konstruktion zwingt Diebe, mehrere verschiedene Materialtypen zu durchtrennen.
Welche Zertifizierung benötigen Sie?
Die Anpassung des Zertifizierungsniveaus an Ihre spezifische Situation verhindert sowohl übermäßige Ausgaben für unnötige Sicherheit als auch unzureichende Ausgaben für unzureichenden Schutz.
| Fahrradwert | Risikoniveau | Sold Secure | ART | FUB/SRA |
|---|---|---|---|---|
| Unter 500 € | Niedrig (ländlich, kurze Stopps) | Silver | 2-Sterne | FUB 2 Räder |
| 500-1.500 € | Mäßig (vorstädtisch, tagsüber) | Gold | 2-Sterne | FUB 2 Räder / Vélo SRA |
| 1.500-3.000 € | Hoch (städtisch, über Nacht) | Pedal Diamond / Powered Gold | 2-Sterne | Vélo SRA |
| Über 3.000 € | Sehr hoch (Stadtzentrum, Uni-Campus) | Powered Diamond (schleiffest) | 3-Sterne | Vélo SRA + Zweitschloss |
Das Fazit zu Schlosszertifizierungen
Schlosszertifizierungen trennen geprüfte Sicherheit von Marketing-Fiktion. Sold Secure, ART, FUB und Vélo SRA-Bewertungen stehen für tatsächlichen Widerstand gegen Diebstahlmethoden, nicht für das Wunschdenken der Hersteller. Für E-Bikes und Premium-Fahrräder ist eine Zertifizierung nicht optional, sondern obligatorisch für den Versicherungsschutz und der einzige verlässliche Indikator für Diebstahlsicherheit.
Kaufen Sie basierend auf dem Zertifizierungsniveau, das dem Wert Ihres Fahrrads und der Risikoumgebung entspricht, nicht nach dem Aussehen des Schlosses oder dem Ruf der Marke. Ein zertifiziertes Diamond-Schloss für 150 € schützt Ihr 2.500-€-E-Bike. Ein nicht zertifiziertes Kabelschloss für 40 € sorgt dafür, dass Ihr Fahrrad gestohlen wird, egal wie dick oder beeindruckend es aussieht.
Der Unterschied zwischen dem Behalten Ihres Fahrrads und dem Einreichen eines Versicherungsanspruchs hängt von 90 Sekunden zertifiziertem Schutz ab. Wählen Sie entsprechend.



